We’ve updated our Terms of Use to reflect our new entity name and address. You can review the changes here.
We’ve updated our Terms of Use. You can review the changes here.

Tobias Reu​ß​wig "Seew​ä​rts wankte er" (text​.​.​. klicken Sie auf "Lyrics", um ihn zu lesen​.​.​. click "lyrics" to read it)

from March 2013 Compilation by 12in12x12

about

lyrics

Seewärts wankte er, schwertgeschoren und bettelnd dabei. Was gab es zu tun? Eine Vergangenheit musste verändert werden. Ein Wille musste geformt, geschmiedet, gerichtet werden. Es gab Zeichen zu deuten und Feuer zu legen. Zuallererst jedoch gab es Hindernisse zu überwinden. All seine Pläne hatte er hinter sich zu lassen. Alles sekundäre, akzidentielle musste innerhalb von drei Monaten, die ihn an seinen biologischen Ursprung binden konnten, hinter ihm gelassen werden. Diese Zeit musste frei sein. Diese Zeit durfte nicht hinterfragt werden, da er sich in ihr überzeugen würde, dass er seine Genese nicht als eine Genfer Lüge darstellen konnte. Er war vernichtet worden damit er würde auferstehen können. Angekommen sank er in Sand. Er dürstete, seine Reise, seine Erinnerung, die mentale Anstrengung machte sich bemerkbar. Keine Hirtinnen, kein Brunnen. Im Sand verscharrte Väter, von eigener Hand erwürgt: Die Tränen einer Frau, die sich "Mutter" nannte, aber nur eine Amme war. Die ewigen Verwirrungen von Kultur: Das Zitat als die extremste Form des Mordes. Langsam atmen. Etwas geschah mit seinem Körper, die Einschreibungen lösten sich mit seinen Tränen – alles verschwamm, alle Zuschreibungen, alle Zuordnungen von Bedeutung zu Gegenstand, zu Tätigkeit, zu Zeichen. Stampfe den Lehm, Sklave. Befehle den Lehm zu stampfen, Herr. Die Sonne bleichte seine Haut. Das Salz netzte seine Lippen. Er stand. Er schwankte. Unter dem brennenden Himmel. Surt, der weiße, rennt, so suvarn wie schwarz. Am Horizont verschiedene Inseln im Blau. Eindrücke in seinem Verstand, Duplizität, Ebenbildlichkeit: Mauern und gemauerte Städte. Brennöfen, Barrieren. Gefallene Eichen, die Eroberungen der Liebe. Der fallende König muss sich erheben. Aufsteigende Eschen. Oh wie er brannte! Und er lief, rannte, stampfte durch den Sand zu seinen Füßen und verschlang das Licht der Sonne, die brennenden Strahlen, die seine Haut entfärbten. Das Feuer würde in ihn eindringen, auf ihn übergehen und ihn zu dem Stern machen, zu dem er seit seiner zweiten, seiner wirklichen Geburt, bestimmt gewesen war. Oh und ohne Zweifel traf er sie, traf sie an ihrem Brunnen und schlug den Fremdling im fremden Land nieder. Das Wasser löschte seinen Durst und nährte seine Flammen. Eine von ihnen gehörte ihm. Er zog weiter und lies sie zerissen und kalt zurück. Als ein Verlorener kehrte er in die Arme seiner Mutter zurück. Er schwamm, zum zweiten Mal, in dem lebensspendenden Strom: Das Wasser schob sich über seine Glieder, die glatten Spitzen grell und weiß in der Sonne. Er konnte und wollte: Sein Haar wurde geschoren. Und er erhob sich in Glorie. Ein Thron und ein Thyrsosstab erwarteten ihn. Die Bestie (To lowly therion) lächelte über ihm. Und wirklich brachen Tage des Glanzes an, Tage der Festlichkeiten, des Rausches und der Überschwenglichkeit. Der Wein floss, die Tänzerinnen ertranken in Lust, die Paläste erbebten im Gelächter. Und an der Spitze jeder Prozession stand er, nun selber König und streute sein Lachen, seinen Willen wie Almosen unter die, neben ihm, so ärmlichen Großen seines Reiches. Anders hätte es nicht sein können. Er hatte sich zerschlagen und er hatte sich neu gemacht, besser als er den Thron füllte hätte ihn niemand füllen können. Er war ein stolzer Herrscher, ausgestattet mit jeglichem Recht dieses zu sein. Als seine Untertanen sich gegen ihn erhoben stieß er sie aus seinem Reich aus und jagte ihnen nach mit seinen Getreuen. Man zog die Schwerter und lief durch ihr Lager: Brüder erschlugen ihre Brüder, Schwestern und Kinder; das Blut schoß, einer gewaltigen Säule gleich, in den bewölkten Himmel.
Die Rückkehr nach getaner Arbeit. In der Wüste lagen die Leichen der Abtrünnigen, Vögel pickten das Fleisch von den Knochen und hinterließen nur kahle Gebeine. Seine Geliebte zog vor den Heimkehrern her: Ihr Gesicht und ihre Arme waren gezeichnet von dem Blut der Erschlagenen. Sie sang, stieß in das Horn, feierte ihren Sieg! Sein Herz jubelte ihm in der Brust. Seine Gedanken schwellten, wuchsen, breiteten sich aus wie das unterirdische Geflecht eines Pilzes oder schäumende Weine und überfluteten, gruben sich in seine Getreuen. Wäre ihnen ein Genius begegnet: Er und der Fürst hätten einander verschlungen. So aber erhob sich unter seinem Volk, seinen treuen Anhängern, nach der schweren Schlacht, eine beinahe grimmig zu nennende Ausgelassenheit. Was immer sie vor diesem Tag gewesen waren: Heute wurden sie zu etwas anderem. Sie ließen etwas zurück aber erhielten etwas neues im Gegenzug, etwas unfassbar wertvolles. Manch einer hatte an diesem Tag seinen Vater, seinen Bruder, seinen Onkel erwürgt: Manch einer hätte es, im Taumel des Augenblickes, im Taumel der Rückkehr, des Triumphes über jedes Gesetz, getan, wenn nur der entsprechende Verwandte zur Hand gewesen wäre. Die Stadt lag ausgestorben. Verstohlen lächelte man sich zu. Die Namen aller bisherigen Götter wurden getilgt; die alten Heiligtümer lagen still und versanken langsam im Sand. Man brauchte neue Tempel, neue Priester, neue Bildnisse, die auf Magier und Türme, das lebensspendende, das erneuernde Wasser veweisen würden. Unter den strengen Augen seiner Geliebten, die nun zur Hohepriesterin aufstieg, wusch sich ein jeder der Getreuen im Strom. Er selbst legte seinen alten Namen ab: Der aus dem Wasser gezogene wurde zum zweifach Geborenen, er wurde zum Erneuerer, zum Propheten der Propheten.
Einige Jahre nach seiner Ernennung begehrte er seine Amme zu sehen. Die Zeit war nicht sanft zu ihr gewesen, gebrechlich und eingefallen stand sie vor ihm. Er berichtete ihr von seinen Taten während der Aufstände, erklärte ihr, was sein Titel bedeutete, führte ihr die neu geschaffene Religion vor, zeigte ihr, wie nahtlos alle Teile ineinander passten. Er brauchte sie nicht zu bitten: Sämtliche Ansprüche und Behauptungen zog sie zurück. Die Position des Mörders ihres Mannes, den sie selbst gesäugt hatte würde nicht in Frage gestellt werden. Er nickte. Die alte Frau verschwand in den Fluten des heiligen Flusses, ertränkt von der neuen Priesterkaste. Einige Theologen behaupten, es sei im Auftrag der Hohepriesterin geschehen, die keine andere Frau im Leben ihres Gottes dulden konnte. Ich aber bevorzuge folgende Interpretation: Er selbst, der zweifach Geborene, befahl den rituellen Mord, da ihm klar wurde, dass die Tatsache, dass ein Gott seine Legitimation in einer Sterblichen suchte, seine Göttlichkeit in Zweifel zog. Sein Verschwinden von dieser Welt nun kann in zweierlei Weise gedeutet werden: Entweder ließ er schlussendlich alles zurück, was ihn mit der sterblichen Welt verband und wurde zu reinem Willen, oder aber seine eigenen Priester verscharrten ihn im Sand, als er, seiner endgültigen Apotheose folgend, eine Entscheidung traf, die aus ihrer Sicht einem Sakrileg gleichkam. Hier bevorzuge ich, so ketzerisch sie sein mag, ebenfalls die letztgenannte Erklärung; aber vielleicht zeigt sich darin auch nur, erneut, meine fast krankhafte Freude an Parallelitäten.

credits

from March 2013 Compilation, released March 31, 2013

license

all rights reserved

tags

about

12in12x12

contact / help

Contact 12in12x12

Streaming and
Download help

Report this track or account

If you like 12in12x12, you may also like: