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Tobias Reu​ß​wig "Mit Silke" (text​.​.​. klicken Sie auf "Lyrics", um ihn zu lesen​.​.​. click "lyrics" to read it)

from April 2013 Compilation by 12in12x12

lyrics

Und ich fresse die Bücher der Paranoiker, Stück für Stück, Seite für Seite, wie den abgehalfterten Symbolismus einer Jahrmarktswahrsagerin, verschlinge sie wie Tarotkarten aus dem Axel Springer Verlag, schlage und hämmere gegen ihre Bibliotheken, ihre Kirchen, ihre Häuser. Nicht einmal Asche. Vergiftet bläht sich mein Magen, mein Körper, meine Lider werden schwer, noch eine Seite, Tinte auf vergilbten Papier: "Wenn ich mich jetzt umdrehe, so wird jeder wissen, dass ich mich verlaufen habe. Huste nicht, man würde es dir ankreiden. Weißt du noch, damals? Das wird sich wiederholen, wenn du nicht vorsichtig bist. Und überhaupt hast du dich mit dem Wetter nicht zu befassen. Blocksatz, damit kennst du dich aus. Und was heißt schon ein Blick, was ist schon ein Lächeln? Verletzungen macht man nicht so schnell rückgängig." verschwindet in mir. Niemand ist glücklich, aber ich wenigstens unternehme etwas dagegen. Mein Arzt erklärt mir, dass sich die Zellulose in meinem Magen festsetzen, ihn verstopfen wird. Meine Freunde sagen mir, dass ich mich nicht um die Probleme von anderen zu kümmern hätte. "Lass sie doch." Man sieht mich ob meines aufgeblähten Zustands merkwürdig an, wenn ich, sanft von einem Bein zum anderen wiegend, die Straße entlang schlendere. Durch die Tore der Bibliotheken passe ich kaum noch. Mittlerweile staut sich ohnehin mehr als nur die Zellulose. Die Tinte tropft heraus, löst sich, verlässt meinen Körper in Tropfen oder dringt in mein Blut ein. Vor meinen Augen tanzen Buchstabenkaleidoskope, in meinem Hirn stampfen sie in Erinnerung an ihre Bleilettern, in meinen Armen brennen sie sich tiefer und tiefer. Ich reiße eine weitere Seite heraus. Mit angewinkelten Armen halte ich sie mir dicht vor meine Augen, kneife sie zusammen, schüttele den Kopf, um die schwarzen, springenden Punkte zu vertreiben. Sie ist leer. Dass ich zögere sie fort zu werfen, sie wieder und wieder herumdrehe und nach verborgenen Botschaften suche, beweist, dass ich verloren bin. "Ordo ab Chao, Brassica!" ruft mir ein erschreckend dürres Männchen zu, dass vom Sicherheitspersonal aus dem Haus gezerrt wird, und lachend beginne ich endlich zu begreifen und glucksend, würgend, polternd und blubbernd, in waren Schwällen übergebe ich mich, flute die Ausleihtheken und spüle Bibliothekare und ihre muskelbepackten Wächter durch die offenen Türen hinaus, weit. Zuletzt zerplatzen die getönten Glasscheiben, Paranoia ergießt sich und setzt sich hartnäckig, als Kommata und Punkte, zwischen jeden unserer Sätze.
Rank, schlank und schön stehe ich inmitten der Katastrophe (Katastrophe?) die ich ausgelöst habe. Mit Fingerspitzen, die über die Kronen der Bäume streichen, bewege ich mich durch die Alleen und Parkanlagen. Der Wind wiegt mich, der Regen nährt mich. Abseits der Städte ist der Boden besser, ich schlage Wurzeln, bewege mich sanftmütig und spende Schatten. Sinnlose Symbole, Zeichen für Ewigkeiten, die gerade einmal ein paar Monate halten, werden in meine Haut gestoßen. Ich zucke mit den Schultern, ein Eichhörnchen verliert den Halt. Meinen Arzt habe ich nie wieder gesehen, das in mir aufsteigende Wasser fließt ohne Behinderung. „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“ Dem Tod bin ich nicht entkommen, aber das war auch niemals mein Ziel gewesen. Fürchte ich mich davor, gefällt und zu Papier verarbeitet zu werden? Es fühlt sich an, als sei dies bereits geschehen. Die Bücher der Paranoiker, ihre hochmoderne Bibliothek sind vernichtet worden. Ihr Gedankengut lebt weiter, floriert, breitet sich aus wie ein Virus. Eine memetische Infektion. Ich falle einem Waldbrand zum Opfer und meine Asche, vom Wind in einen nahe gelegenen Fluss gespühlt, nutzt niemandem. Das Feuer wütet in den Straßen, wilde Worte und Mord machen die Runde. In schwarzen Kutten schleichen Mönche eines dunklen Kultes um die Häuser, ungesehen. Die leichteste Brise treibt sie vorwärts. Zuletzt ist noch genug übrig, um ein kleines Dorf voller Verrückter aufzubauen, die ihre Dreadlocks in den Wind halten. Auf ihren Webstühlen entstehen farbenfrohe Wollkleider. Die schwarze Baumwolle eines untergegangenen Kults wird erst in einigen Jahren wieder gewoben werden. Die Paranoia hält sich hartnäckig in Mythen und wartet auf ihre Priester und Chronisten. Das Wasser fließt.

credits

from April 2013 Compilation, released April 30, 2013

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